Der lange Weg zum Bregenzer Halbmarathon - oder: wie ich die Wand kennenlernte
Zugegebenermaßen war die Vorbereitung nicht perfekt verlaufen. Doch wagen wir erstmal einen Blick zurück.
April 2024: Mein erster offiziell gemessener Halbmarathon, Freiburg, 20 Grad. Perfekte Bedingungen und endlich einmal die Distanz nicht nur im Training laufen, sondern zusammen mit tausenden anderen, in der Stadt in der ich aufgewachsen bin. Freunde stehen an der Strecke und feuern mich an, die Temperaturen steigen fast so schnell wie der Puls, kurz vor dem Ende der Eindruck, dass es knapp werden könnte, sowohl muskulär als auch konditionell - und dann die Ziellinie. Zielzeit irgendwas um die 1:37, deutlich unter den angepeilten 1:45. Ein richtig guter Tag. Und der nagende Gedanke im Hinterkopf, dass da noch mehr drin gewesen wäre.
Mai 2024: Was wird das nächste Ziel? Klar, ein Marathon muss her, Halbmarathon kenne ich ja jetzt, und überhaupt, Bregenz soll doch eine schöne Strecke sein. Zudem ist das quasi die Ecke rum. 42 Kilometer, wie lang kann das schon sein? Bis Oktober ist auch noch reichlich Zeit.
Juni 2024: Super Start ins Training, Tempo und Distanzen nehmen zu. Andy Thompson, ein befreundeter Lauftrainer, hilft mir mit einem Plan und ich sehe mich schon bei Zeiten unter 3:15.
Ob sich das als Hochmut oder ambitioniertes Ziel herausstellen soll wird sich zeigen. Aber es treibt mich zu 5 Laufeinheiten pro Woche, mindestens. Darüber vergisst man auch mal das Fitnessstudio…
Ende Juli 2024: Rückenprobleme. Schon wieder. Das zweite Mal innerhalb eines Jahres machen die Muskeln am Rücken und an der Hüfte zu und ich kann kaum noch gerade stehen. Naja, kein Problem, denke ich mir, in einer Woche kann ich bestimmt wieder laufen. Was ich dann auch tue, weshalb sich die Rückenprobleme bis in den August ziehen. Erste Zweifel machen sich breit.
August 2024: Acht Wochen bis zum Marathon. Und drei Wochen habe ich gerade verloren. Acht Wochen um nicht nur Trainingsrückstand aufzuholen sondern meine Long-Runs von 16 auf weit über 30km zu steigern.
Ich disponiere um. Erstmal wird ein ordentliches Gym-Programm etabliert, zusammen mit einem Physiotherapeuten, um die Muskulatur zu unterstützen. Dann die Einsicht: für einen zufrieden stellenden Marathon reicht die Zeit nicht mehr aus. Das Trainingsvolumen bietet sich aber stattdessen für einen guten Halbmarathon an. Vielleicht sogar einen sehr guten. Unter 1:35. Mehr Tempo Sessions, weniger lange Läufe, so könnte es klappen. Vielleicht unter 1:30. Das wäre ein Kilometerschnitt von knapp 4:15. Vielleicht…
September 2024: Tempoläufe, lange Läufe. Tempoläufe, lange Läufe. Zwei Wochen Urlaub, in denen ich zumindest ein paar Hügel-Sessions einbaue. Dann wieder Tempoläufe und lange Läufe. Die Beine werden ausdauernder, schneller, stärker.
12. Oktober 2024: Etwas wehmütig hole ich meine Startnummer ab. Halbmarathon. Nicht Marathon. Nicht das im Mai gesetzte Ziel erreicht. Aber die Vernunft hat gesiegt. Und als ich die Streckenvorstellung sehe bin ich mir voll bewusst, dass die Zeit nach der Verletzung nicht gereicht hätte. Dafür jetzt eben alles was der Körper hergibt auf den 21km lassen. Starten werde ich aus Block 1, 45 Minuten nachdem der Marathon losgeht wird der Halbmarathon beginnen. Die vorgenommene Zielzeit von 1:30 scheint in greifbarer Nähe. Und je nachdem, vielleicht…
13. Oktober 2024: Die Sorge, dass es regnen würde, erweist sich als unbegründet. Stattdessen erwartet uns ein lauer, wolkenverhangener Tag, an dem es zumindest morgens noch nicht nach Gegenwind aussieht. Perfekte Voraussetzungen. Und wenn ich mich nicht erst 5 Minuten vor dem Start in meinen Block drängeln würde müsste ich den ersten Kilometer vielleicht nicht im Slalom in der Lindauer Altstadt zwischen den Leuten hindurch sprinten. So aber fällt der Startschuss und nach dem ersten Kilometer sehe ich den Zwischenschnitt: 3:45 pro Kilometer. Viel zu schnell. Also erstmal auf die Bremse treten.
Kilometer 2 - 7: Selten bin ich so gut, so einfach, so schnell gelaufen. Das Training hat sich voll ausgezahlt! Wer braucht schon lange Läufe wenn er Tempo in den Beinen hat? Heute ist alles möglich! Der Gegenwind am See kann mich kaum aufhalten, und bläst ganz nebenbei auch meine Rennstrategie davon. Den 4:00 Schnitt kann ich doch locker halten!
Kilometer 8: Lieber mal auf Nummer sicher gehen, so langsam ist es doch anstrengend. Einen Kilometer früher als geplant wird das erste Gel eingeworfen. Ich habe ja auch noch was vor.
Kilometer 9 - 13: Klar, jetzt ist es tough. Jetzt heißt es dran bleiben! Schon über die Hälfte geschafft, sage ich mir als ich mich an der Bregenzer Seebühne vorbei auf den Weg in ein kleines Waldstück mache. Hier habe ich den Vorteil, dass ein anderer Läufer bei mir ist. Rotes Shirt, schwarze Schuhe. Das Logo von irgendeinem Laufclub auf dem Rücken. Er läuft einen konstanten Schnitt von 4:00, immer noch gut vor meiner eigentlichen Zielzeit. Ich kann den Windschatten nutzen, ein bisschen verschnaufen. Und das gibt mir falsche Hoffnungen. Ich kann doch eigentlich schneller laufen! Ich habe doch noch Power! Ich greife an und ziehe vorbei. Zu früh? Die Uhr zeigt 3:55 als Schnitt.
Kilometer 14 - 18: Das zweite Gel liegt lange hinter mir, doch ich spüre den Effekt kaum noch. Wie viel Strecke liegt noch vor mir? Und wie genau soll ich die bewältigen? Es sind noch nicht einmal die Muskeln, die jetzt Probleme machen. Es ist der Kopf. Es ist die Lunge. Nur nicht aufgeben, einfach einen Fuß vor den anderen setzen, sage ich mir immer wieder als ich in Hard, Österreich, kurz hinter Bregenz den letzten Umkehrpunkt umrunde. Nicht einmal mehr 5km. Doch diese eigentlich kurze Trainingsstrecke fühlt sich unmöglich an. Das letzte Gel wird ausgedrückt. Die Uhr zeigt irgendwas knapp über 4:00.
Kilometer 19: Wenn du jetzt aufhörst zu laufen war alles umsonst. Das Training an so vielen Abenden. Die Läufe im Urlaub anstatt am Strand zu liegen. Und vor allem die letzten 18+ Kilometer.
Ich kriege immer weniger von den Leuten um mich herum mit, mein einziger Fokus gilt der Atmung und den Füßen. Einer vor den anderen. Der Kilometerschnitt wird langsamer.
Kilometer 20: Nicht übergeben, nicht umfallen. Nicht übergeben, nicht umfallen. Ich hänge mich nochmal an einen anderen Läufer, doch ich halte seinen 4:00 Schnitt nur noch für einige hundert Meter. Ich habe locker genug Puffer um unter 1:30 zu laufen, selbst wenn ich jetzt nachlasse.
Doch irgendwo in meinem Körper sitzt noch ein kleines Häufchen Energie, ein kleines Häufchen Ehrgeiz. Und dieses Häufchen schreit so laut es kann. Es schreit das, was ich mir selbst nicht wirklich eingestehen wollte: 1:30 war nie das Ziel. Das Ziel war immer 1:25!
Kilometer 21 und die letzten 100 Meter: Auf dem letzten Kilometer überholt mich ein Läufer mit rotem Shirt und schwarzen Schuhen. Ich halte nicht mehr mit. Well played, sein Pacing war besser. Ist mir aber auch egal. Auf dem Weg ins Stadion in Bregenz, in dem sich die Ziellinie befindet, erklärt der Moderator gerade über die Lautsprechanlage, dass gleich „der erste Läufer des Marathons ins Stadion gelaufen kommt“. Keine Verwechslungsgefahr, ich fühle mich ausgelaugt und man sieht es mir auch an. Aber ich ziehe das Tempo nochmal an, schaffe es ins Ziel! Erledigt!
Ich wanke einige Minuten benebelt zwischen den Verpflegungsständen hin und her.
Erst später auf dem Rückweg im Auto merke ich wie glücklich ich mit der Leistung bin. Die letzten 4km waren zwar unschön, und ich glaube jetzt zu wissen wie sich „die Wand“ anfühlt. Aber durchgezogen habe ich trotzdem. Und Spaß gemacht hat es doch eigentlich auch. Vielleicht dann nächstes Jahr wieder: beim Marathon.
Und da war ja noch das Thema mit der Zeit:
Offizielle Zeitmessung Skinfit Halbmarathon: 1:25:09
Neue PB für einen Halbmarathon laut Strava: 1:24:35
Wie wir alle wissen zählt nur das, was auf Strava steht.